Was ist ein Trauma und warum geht uns das alle an?
- Eva Simons
- 20. Sept. 2024
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Nov. 2024
Mit Begrifflichkeiten ist das in unserer Welt ja so eine Sache. Einerseits ist es wundervoll, dass wir so viele unterschiedliche Worte haben und uns so detailliert und präzise verständigen und ausdrücken können. Und andererseits sind wir damit manchmal auch extrem starrsinnig. Wenn Worte für einen bestimmten Kontext festgelegt wurden, darf es um Himmels Willen nicht abweichend davon verwendet werden. Auch wenn die Festlegung, die mal gemacht wurde, evtl. nicht so viel Sinn macht.
Es gibt viel Uneinigkeit über die Verwendung des Trauma-Begriffs. „Trauma“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet wortwörtlich eigentlich nur „Wunde“. In der Psychologie hat man diesen Begriff genommen und definiert als eine „seelische Verletzung, die mit einer starken psychischen Erschütterung einhergeht“ (Quelle: Wikipedia). Man hat also den allgemeinen Begriff Wunde genommen und ihn reserviert für sehr große, schlimme Wunden, die für nahezu jeden eine enorme Beeinträchtigung mit sich bringen.
Kleine Wunden, die kleinere Beeinträchtigungen mit sich bringen, fallen in unserer Welt gerne unter den Tisch. Nach dem Motto: Wenn nicht der ganze Arm ab ist, ist es nicht so schlimm. Der Hauptunterschied ist meiner Ansicht nach, dass man mit den kleineren Beeinträchtigungen zwar nicht glücklich, aber einigermaßen lebens- und arbeitsfähig ist - also man funktioniert in unserer Welt.
Aber wir wollen nicht mehr nur funktionieren, wir wollen ein erfülltes Leben, innerlich im Frieden mit uns sein, so gemocht werden wie wir sind und die Schönheit im Leben genießen können. Und wenn uns das Leben vor Herausforderungen stellt, wollen wir gut mit ihnen umgehen können und nicht ins Drama verfallen.
Eine Wunde kann also klein oder groß sein. Oder mittel. Sie kann tief sein oder oberflächlich. Sie kann an einer empfindlichen Stelle sein oder an einer unempfindlichen. Sie kann einem viel Leid bescheren oder nur ein bisschen. Das Leid kann kurz und heftig sein oder lang und kräftezehrend. Eine klitzekleine Wunde zum Beispiel kann super viel Schmerz bereiten, vor allem wenn sie nicht heilen kann, weil ständig daran gescheuert wird, Dreck hinein gelangt oder man sich einfach nicht gescheit um ihre Versorgung kümmert. Sie kann sich entzünden, größer werden und im schlimmsten Fall sogar zu einer Sepsis führen.
Es kommt eben auf die Wunde an, auf unsere persönliche Wundheilung, unser Immunsystem und auf die Qualität der Versorgung, die diese Wunde erfahren hat. Sowohl im akuten Moment, als sie entstanden ist als auch langfristig (Nachsorge). WOHER die Wunde kommt, spielt für die Wundheilung erstmal keine Rolle. Ob du dir den Arm jetzt beim Skifahren oder auf der Arbeit gebrochen hast, ob du dich beim Kochkurs oder bei dir Zuhause mit dem Messer verletzt hast, interessiert vielleicht die Versicherung, sagt aber nichts über die Größe der Wunde oder über die Beeinträchtigung aus, die durch sie entstehen kann oder entstanden ist.
Und so ist es auch bei seelischen Verletzungen. Trauma ist nicht das Ereignis, was dir passiert ist, sondern das, was von dem Ereignis zurückbleibt. Deshalb sind Ereignisse nicht grundsätzlich traumatisierend oder nicht traumatisierend, sondern potentiell traumatisch. Ein und dasselbe Erlebnis kann daher für den einen traumatisierend sein und für den anderen nicht. Es kommt darauf an, wie gut unser psychisches Fundament ist und die Hilfe, die wir erfahren.
Potentiell traumatische Erlebnisse können punktuell sein (Schocktrauma) oder dauerhaft (Entwicklungstrauma). Schocktraumata sind Reaktionen auf einzelne, heftige Ereignisse wie z.B. Kriegserlebnisse, Überfälle, Akte se*ualisierter Gewalt, Unfälle usw.
Soweit so klar. Schocktrauma ist relativ bekannt und hier ist eindeutig, dass daraus entstandene Beeinträchtigungen einer Therapie bedürfen.
Was uns alle eher subtil in unterschiedlich intensivem Ausmaß betrifft, ist Entwicklungstrauma.
Entwicklungstraumata beschreiben die Folgen von sich wiederholenden, langfristigen seelischen Verletzungen, die wir in unserer Kindheit erfahren. Insbesondere Vertrauensbrüche zu unseren engsten Bezugspersonen und Ablehnung durch diese stehen an erster Stelle. Natürlich ist der gravierendste Auslöser von Entwicklungstrauma sich wiederholende Gewalterfahrungen oder Erfahrungen se*ualisierter Gewalt. Auch emotionaler Missbrauch passiert extrem häufig („wenn du xy nicht machst, ist Mama/Papa traurig und enttäuscht“). Genauso führt aber auch zu wenig Fürsorge, viel Alleinsein als kleines Kind, zu wenig nährender Körperkontakt, spannungsgeladene Umstände wie Streitigkeiten, dauerhafte Kritik an der eigenen Person, massive Kontrolle, Überbehütung usw. – zu dauerhaften, chronischen Traumafolgestörungen. All diese Umstände lösen in Kindern das Gefühl von abgelehnt werden, ohnmächtig und abgetrennt sein aus. Der Instinkt schätzt Ausgrenzung als potentiell lebensbedrohlich ein, da Kinder maximal abhängig von der Versorgung durch die Bezugspersonen sind. Steht diese Versorgung auf dem Spiel oder wird dies angedroht, springt ein Überlebensmechanismus an und es wird alles getan, um dieses Szenario zu vermeiden. Kinder passen sich also an, verbiegen sich, entwickeln kein gutes Selbstwertgefühl, was sie später im Leben behindert. Das Problem ist nämlich, dass Kinder ihr psychisches Fundament, ihre Bewältigungsressourcen erst noch aufbauen müssen, um als Erwachsene herausfordernde Ereignisse verarbeiten zu können. Sie sind auf die Versorgung ihrer Wunden durch die Bezugspersonen angewiesen. In Bezug auf seelische Verletzungen spricht man von Co-Regulation. Wer sich noch nicht regulieren kann, benötigt Regulation von außen. Wenn jedoch Menschen entweder nicht in der Lage sind, die seelischen Wunden ihrer Kinder zu versorgen oder - viel gravierender - selbst diejenigen sind, die die Wunden durch ihr Verhalten oder Unterlassen auslösen, dann kann ein Kind kein gutes Fundament aufbauen und Erfahrungen von Ablehnung, Abwertung, Ausgrenzung oder Manipulation nicht gut verarbeiten. Es werden lediglich Schutzstrategien darüber gelegt, die helfen, diese Situationen auszuhalten. Das hilft, um durchzukommen, es ist eine Überlebensstrategie. Aber es ist keine Verarbeitung. Der Schmerz, die Spannung sitzt nach wie vor im Nervensystem fest.
Und woher kommt dieses Verhalten Erwachsener, was Wunden in Kindern auslöst? Nicht durch angeborene Boshaftigkeit. Sondern weil das eigene Fundament nicht stabil ist. Weil man es selbst nicht gelernt hat. Weil die eigenen Eltern noch weniger Fundament hatten. Und deren Eltern noch weniger. Und so weiter.
Niemand ist also schuld daran. Eine Nation kann aus immer wieder kehrenden, jahrelangen Erfahrungen von Krieg, Leid und Armut einfach nicht gesund herauskommen. Die meisten unserer Vorfahren haben schlimme Dinge erlebt, und hatten keine Chance, sie vernünftig zu verarbeiten, weil sie mit Überleben beschäftigt waren. Seit Jahrhunderten wissen die Menschen nicht, wohin mit dem ganzen Schmerz, der ihnen widerfahren ist. Alkohol, Drogen, krankhaftes Arbeiten, Konsum und Medienbeschallung sind klägliche Versuche die unangenehmen Gefühle zu betäuben. Am Kern der Sache ändern sie aber natürlich nichts. Ungewollt wird der unterdrückte Schmerz/nervliche Stress auf die Kinder übertragen und man kann ihnen nur bedingt das geben, was sie wirklich brauchen.
Die gute Nachricht - man kann die Spannung im Körper, die aus den Traumafolgestörungen resultiert, nachträglich Schritt für Schritt lösen und es ist gar nicht so schwer, wie es sich vielleicht anhört. Wir arbeiten im körperorientierten Coaching nicht an den auslösenden Ereignissen, sondern am Zustand des Nervensystems im Hier und Jetzt. Dank der Neuroplastizität unseres Gehirns können wir durch die positiven neuen Erfahrungen im Coaching neue neuronale Vernetzungen schaffen und unser Fundament nachträglich stabilisieren.
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